Heute möchte ich dir über ein Interview berichten, das ich mit André Frahm von Michelle Records geführt habe. Michelle ist mein Lieblingsmusikladen in der Hamburger Innenstadt. Er ist ein kleiner schöner gemütlicher Laden, der jede Menge CDs und Schallplatten hat. Ja, du hast richtig gelesen. Schallplatten sind wieder schwer gefragt. Wenn Michelle eine Scheibe mal nicht vorrätig hat, kann man sie dort bestellen. Das nette Team bekommt alle Scheiben wie Media Markt, Saturn oder Amazon. Der Laden ist auch im Händlerverbund. Und André ist ein Teil des Teams. 🙂
Michelle habe ich 2015 im Internet entdeckt und bin bald auch mal hingegangen, nachdem ich nach einer Paris-Reise im Dezember 2014 mit meinen Eltern nach Second Hand- bzw. alternativen Musikläden in Hamburg gesucht habe. Es war nämlich so: In unserem Reiseführer für Paris waren solche Musikläden als besonderes Erlebnis aufgeführt. Mein Vater suchte einen aus. Und das war ein Volltreffer. Davon schwärme ich heute noch. Es war ein toller kleiner Musikladen. Er heißt Crocodisc.
Deshalb suchte ich danach auch nach einem ähnlichen Laden in Hamburg. Und Michelle war eben einer davon. Leider gibt es nicht mehr so viele. Heutzutage wird die Musik mehrheitlich nur noch gestreamt per Musik-Abonnement, und Musikaufnahmen will man gar nicht mehr selbst besitzen. Ich weiß nicht, ob diese Entwicklung so gut ist. Natürlich habe ich auch so ein Musik-Abonnement, aber ich kaufe mir auch noch Musik. Vor allem CDs und das am liebsten bei Michelle. 🙂 Ich hoffe, dass es Michelle noch eine Weile gibt. Das wäre schön!
Lieber André, es ist immer nett, wenn wir uns bei Michelle sehen und du mir CDs verkaufst oder gar schenkst. Gerade das mit der geschenkten CD-Sammlung von Foreigner vergesse ich dir nie. Darüber habe ich mich wirklich sehr gefreut. Über das Interview freue ich mich natürlich auch. Ein fettes Danke dafür!
Und hier ist das Interview:
Wie und wann kamst du eigentlich zu Michelle Records?
André: Ich habe von 1998-2003 für verschiedene Plattenfirmen im Vertrieb gearbeitet und während dieser Tätigkeit auch den Plattenladenladen Michelle und seine Mitarbeiter kennengelernt. Als es dann ca. 2005 zu internen und personellen Veränderungen bei Michelle kam, wurde ich gefragt, ob ich nicht in dem Plattenladen anfangen wolle zu arbeiten, da hab ich nicht lang überlegt und bin dann ins Team-Orange (Orange ist die traditionelle Michelle-Farbe der legendären Tüten bzw. jetzt Stoffbeutel) eingestiegen.
Wie siehst du die Veränderungen in der Musikindustrie? Bedauerst du sie, findest sie kritisch und traurig? Wie steuert ihr als Michelle dagegen? Zum Glück sind Schallplatten wieder sehr angesagt und davon habt ihr ja viele. Sogar eigene.
André: Wir haben bei Michelle immer unsere eigenen Wege gefunden, uns mit den jeweiligen Situationen des Marktes zu arrangieren und dadurch auch erfolgreich auf die Veränderungen zu reagieren. Der Aufwärtstrend zum Vinyl hat uns lange begleitet und macht natürlich Freude. Aber mittlerweile sind die Preise für dieses Format teilweise so unverschämt, dass sich dort entweder etwas ändern muss, oder sich diese Preisentwicklung auf lange Sicht auf sinkende Verkäufe auswirken wird. Mit unserem schönen und gut ausgewählten Programm scheinen wir immer noch eine Menge Leute in den Laden zu locken, trotz dem ganzen Digital-Wahnsinn inkl. Streaming, Tik-Tok und andere Digital-Kanäle. Ich finde es persönlich sehr traurig, dass die Kunstform Musik zum größten Teil heutzutage nur noch als gestreamte Hintergrund-Geräusch-Kulisse genutzt wird. Die Kunden*innen, die bei uns einkaufen, scheinen aber noch andere Verbindung zur Musik und den Bands und Künstlern zu haben, das ist auch ein finanzieller Support. Über den Schallplattenladen indirekt die Lieblingsband unterstützen.
Apropos eigene Schallplatten. Welche Musik genau presst ihr selber?
André: Wir pressen nicht selber, aber Christof, der Chef von Michelle Records ist ein hervorragender Gitarrist und hat seit sehr vielen Jahren eine Band: DAS WEETH EXPERIENCE. Ich habe das Vergnügen dort auch Schlagzeug spielen zu können. Vor kurzem kam die erste Platte auf dem Michelle Label heraus: Das Weeth Experience zusammen mit Carsten Brosda (Kultursenator aus Hamburg) „nichts kommt von selbst und wenig ist von Dauer“. Ein Song, live eingespielt im Knust, mit sehr interessanten Textbeiträgen von Herrn Brosda: https://www.michelle-records.de/store/Das-Weeth-Experience-&-Carsten-Brosda-Nichts-Kommt-Von-Selbst-Und-Wenig-Ist-Von-Dauer-mit-8-seitigem-Textheft-p352784020
Desweiteren hat Florian aus dem Michell-Team auch eine ganz hervorragende Band am Start: OK WAIT. Sie haben auch vor kurzem ein grandioses Album herausgebracht: https://okwait.bandcamp.com/album/well
Wie seid ihr zum Namen „Michelle“ gekommen?
André: Niemand weiß es. Der Laden wurde 1977 gegründet und es ranken sich verschiedene Geschichten um die Namensgebung, es würde zu lange dauern, alles aufzuzählen. Mit dem Song der Beatles soll es aber nichts zu tun haben.
Hast du noch einen weiteren Job?
André: Ja, ich arbeite seit längerem als Shiatsu Therapeut in eigener Praxis und betätige mich auf einem ganz anderen Berufsfeld. Da sich das alles sehr positiv entwickelt, werde ich demnächst auch deutlich weniger bei Michelle arbeiten.
Du musst doch eigentlich 24 Stunden Musik hören um den Überblick zu behalten oder nicht?
André: Wir haben im Laden ja sehr viel Zeit, verschiedene Platten anzuhören. Zuhause ist Ruhe dann auch mal ganz schön. Infos von den Plattenfirmen, aus dem Internet von verschiedenen Musikseiten und manchmal auch Tipps von unseren Stammkunden halten uns ziemlich gut auf dem Laufenden.
Hat sich dein Musik-Geschmack mit der Zeit verändert?
André: Mein Musikgeschmack war schon immer sehr breit gefächert.
Jazz, Techno, Hip-Hop, Indie, Singer/Songwriter alles was bei mir resoniert höre ich gerne. Deshalb kann ich gar nicht sagen, ob sich mein Geschmack verändert hat. Es hängt eher von der Tagesform ab, auf welche Stilrichtung ich gerade Lust habe zum Hören.
Wer sind zur Zeit deine Favoriten?
André: Little Simz, Nightmares on Wax, Yard Act, Girls In Airports und Miles Davis.
Wie oft veranstaltet ihr eure Schaufensterkonzerte?
André: Wir haben dieses Jahr die Schaufensterkonzert Serie wieder zaghaft angeschoben. Nada Surf aus den USA waren zu Gast. So langsam nehmen die Aktivitäten im Schaufenster wieder zu….
Wer kommt zu den Konzerten?
André: Es ist immer ein ganz bunter Mix an Menschen. So wie unsere Kunden*innen, von 5-85 Jahre alt, alle sozialen Schichten alle Geschlechter bunt durch einander. So wie es sein soll.
Sind die Schaufensterkonzerte auch schon der Start für eine Karriere gewesen?
André: Wir haben schon öfter mit unseren guten Kontakten zu den Plattenfirmen der einen oder anderen Band oder einem Label geholfen eine geeigneten Musikvertrieb zu finden. Der Austausch findet nicht über die Konzerte im Schaufenster statt. Michelle Records versteht sich als Schnittstelle zwischen Künstler, Publikum und Firmen aus dem Business. Unsere Aktivitäten und Unterstützungen gehen weit über die eines normalen Plattenladens hinaus. Es ist ein stetiges „geben und nehmen“, um den letzten kleinen Teil von selbst-bestimmter Kultur und deren Inhalten einem tollen Publikum präsentieren zu können und dies gleichzeitig aber auch mit den Leuten teilen zu können. Alles darf gern „im flow“ bleiben. 🙂
Lieber André, nochmal vielen Dank für dieses Interview!
Lorenzo
PS: Dieses Interview ist eine unbezahlte Werbung.
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