Ein Interview mit Raul Krauthausen

Raul Krauthausen (© Anna Spindelndreier, 2020)
Raul Krauthausen (© Anna Spindelndreier, 2020)

Heute möchte ich dir mal über ein Interview berichten, was ich mit Raul Krauthausen für meinem Blog geführt habe. Raul Krauthausen lebt in Berlin, ist 40 Jahre alt, hat die Glasknochen-Krankheit und setzt aktiv für die Rechte von Behinderten ein. Er hat auch mehrere Projekte verwirklicht, die uns Behinderten im Leben helfen sollen. Zum Beispiel den Verein Sozialhelden, eine Denkfabrik oder Wheelmap.org, bei dem RollstuhlfahrerInnen weltweit an Orten bzw. Örtlichkeiten nachgucken und eintragen können, ob sie barrierefrei sind. Darüber hinaus hat er eine Homepage gemacht, wo Journalisten sich informieren können, wenn sie über Menschen mit Behinderungen berichten wollen. Und er hat seine eigne Talkshow auf Sport1. Sie heißt „Krauthausen face to face“. 2013 bekam er das Bundesverdienstkreuz am Bande für sein Engagement mit den Sozialhelden.

Wenn ich irgendwann halbwegs auch soweit komme wie Raul, würde ich mich freuen. Für die Rechte, mehr Inklusion und Barrierefreiheit von Behinderten setzte ich mich ja mit meinem Blog hier und politisch in meiner Gemeinde Alveslohe auch ein. Ich bewundere Raul und sein Engagement wirklich sehr. Seine Leistung für uns ist unbezahlbar und so wichtig. Ein großes Kompliment und Dankeschön an dieser Stelle, auch für das Interview! 😊

Und hier ist das Interview:

Raul, wie kamst du eigentlich auf die Idee, dich für unsere Rechte einzusetzen? Was war der Auslöser?

Mein Cousin Jan und ich waren schon früh sensibel, wenn es um soziale Probleme und Ungerechtigkeiten ging und wollten dem kreative Lösungen entgegenbringen. Nachdem die gemeinsame Suche nach einem Zivi für mich sehr erfolgreich verlief, wollten wir unserem Tatendrang einen gewissen Rahmen geben und haben den Sozialhelden e.V. gegründet. Unser oberstes Ziel ist Disability Mainstreaming: wir wollen erreichen, dass Menschen mit Behinderung überall mitgedacht werden, damit alle selbstverständlich und selbstbestimmt teilhaben können. “Berufsbehinderter” wollte ich eigentlich nie werden, aber manchmal kommt eben eins zum anderen.

Was genau fehlt dir noch? Welche Rechte müssen wir noch haben?

Ein Beispiel hierfür habe ich gerade ja schon genannt, die selbstbestimmte Teilhabe muss in jedem Bereich unserer Gesellschaft möglich sein. Solange das nicht gegeben ist, werde ich mich und werden wir uns alle weiter für die Umsetzung unserer Rechte engagieren müssen. Ein weiteres Beispiel, wo ich gerade aktiv beteiligt bin, ist die Verpflichtung der Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit. Öffentliche Gebäude sind es ja bereits, aber, für einige mag das überraschend sein, unsere Freizeit verbringen wir dann ja doch auch lieber in Kinos, als in Behörden. 

Wie weit sind wir schon mit der Inklusion?

Ich habe das ja in meiner vorherigen Antwort schon kurz angedeutet. Inklusion ist ein Konzept, das zum Ziel hat, dass jedes Mitglied unserer Gesellschaft in jedem Lebensbereich selbstbestimmt teilhaben kann. Solange das nicht der Fall ist, z.B. aufgrund fehlender Barrierefreiheit, leben wir noch nicht in einer inklusiven Gesellschaft. Inklusion ist eben keine einfache Liste, die man abhaken kann und gut ist. Da gehört einfach noch einiges mehr dazu: große gesellschaftliche Prozesse können nicht von einzelnen bewerkstelligt werden – die ganze Gesellschaft muss mitziehen. Mit einem Blick in andere Länder, muss man wohl leider sagen: wir stehen noch ganz am Anfang dieses Wandlungsprozesses. 

Was muss sich im Arbeitsmarkt noch ändern, dass wir von einer zufriedenstellenden Situation sprechen können? Eine kleine Anmerkung: Ich persönlich bin schon wieder über 2 Jahre arbeitslos und möchte unbedingt wieder arbeiten, aber meine vielen Bewerbungen als Bürokaufmann waren bisher erfolgslos. Zwar kann ich nicht aktiv sprechen, neben meiner Spastik, aber so dumm bin ich auch nicht. Ich habe immerhin Fachabitur.

Deine Erfahrung teilen leider noch viele andere Menschen mit Behinderungen. Oft sind es schlicht Vorurteile der Arbeitgeber*innen, die eine Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gar nicht erst ermöglichen. Auch Unwissen in Bezug auf Unterstützungsmöglichkeiten verhindert oft, dass Menschen mit Behinderungen für eine offene Stelle überhaupt in Betracht gezogen werden. Wenn Menschen mit Behinderung eine echte Wahlmöglichkeit haben, wo sie arbeiten wollen, sowie auf Grundlage ihrer Fähigkeiten über ihre Eignung für eine offene Stelle entschieden wird, wäre schon mal einiges geschafft. 

Du kritisierst die Einkommensgrenze für uns. WarumWelche Folgen hat sie denn?

Seit Anfang 2020 dürfen Menschen mit Assistenzbedarf nun 50.000 statt zuvor 25.000 Euro ansparen, ohne dass ein anteiliger Betrag vom Sozialamt eingezogen wird. Das ist ja zumindest besser als vorher. Aber gut fürs Alter vorsorgen zu können, ist damit immer noch nicht umfassend möglich, womit dem Großteil von uns Altersarmut droht. Was hinter all dem steht, ist ja, dass wir uns eh schon alltäglich mit Barrieren rumschlagen müssen und zusätzlich auch noch für den Abbau dieser mitbezahlen. 

Wie stehst du zu den Behindertenwerkstätten? Für mich sind sie eigentlich nur wie Ghettos und haben nichts mit Inklusion zu tun. Und die Gehälter sind außerdem ein Witz. Was muss sich dort ändern?

Du sagst es, Werkstätten sind das Gegenteil von Inklusion. Dort sind ausschließlich Menschen mit Behinderung beschäftigt. Und das ist schon einer der Knackpunkte: Sie sind nicht angestellt, was auch erklärt, warum kein Lohn, sondern nur ein “Taschengeld” ausgezahlt wird und die Beschäftigten in der Regel gezwungen sind, zusätzlich Grundsicherung zu beantragen. 
Eigentlich haben Werkstätten den Auftrag die Beschäftigten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Dafür stehen viele Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung, wie z.B. das Budget für Arbeit. Die Beschäftigten, die von sich aus den Wunsch haben auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln, berichten immer wieder, dass es unheimlich schwierig ist aus diesem System auszubrechen, weil auch selten Unterstützung durch die Werkstatt geleistet wird. Diese Aussagen bestätigen sich bei der Betrachtung der sogenannten Vermittlungsquote: diese liegt seit vielen Jahren nur bei etwa 1%, womit die Werkstätten ihren eigentlichen Auftrag schlichtweg nicht erfüllen. Dem endlich nachzukommen, wäre also schon mal der erste Schritt in die richtige Richtung. 

Viele von uns sehnen sich nach Liebe und körperlicher Nähe bzw. wollen ihre Sexualität ausleben dürfen, aber es ist entweder finanziell nicht machbar oder es ist immer noch ein Tabuthema. Nach dem Motto: Dafür sind wir zu dumm. Muss auch bei diesem Thema nicht noch vieles getan werden? Was können wir ändern?

Viele Menschen mit Behinderungen leben nach wie vor bei ihren Eltern oder in Institutionen, was oft bedeutet, dass schon das Ansprechen dieser Themen eine riesige Hürde darstellt. Ist diese Hürde erstmal genommen, folgen weitere, wie du schon erwähntest. 
Darüberhinaus denken viele Menschen aus irgendeinem Grund, dass Menschen mit Behinderungen keine Beziehungen mit Menschen ohne Behinderungen führen können. Oder gar, dass Menschen mit Behinderungen asexuelle Wesen sind. Diese und mehr Vorurteile halten sich hartnäckig, nicht nur unter nicht-behinderten Menschen. Mittlerweile gibt es schon einige Blogger*innen und Aktivist*innen, die sich gegen diese haltlosen Annahmen stark machen und versuchen die Vorurteile aus der Welt zu räumen. Auch Sexualbegleiter*innen und -assistent*innen werden populärer. 

Im Moment sorgst du dich um uns Behinderte wegen eines Falles von Triage, dass wir dann nicht die gleichen Rechte haben werden. Warum hast du die Befürchtung, die ich teile? Was muss da geändert werden?

Triage beschreibt ein Auswahlverfahren im Falle einer intensivmedizinischen Ressourcenknappheit. Mediziner*innen müssen dann entscheiden, welcher*m Patient*in die letzten Ressourcen zugesprochen werden. Nach den von den medizinischen Fachverbänden herausgegebenen Leitlinien, hätten Menschen mit Behinderung lapidar gesagt schlechte Karten gehabt, weil z.B. schon die Nutzung eines Rollstuhls zu einer Herabstufung geführt hätte. Daraufhin hat ein Zusammenschluss von Aktivist*innen, ich war auch dabei, Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Richterin Nancy Poser ist Teil dieses Zusammenschlusses und schlägt als Alternative zum Beispiel das Prioritätsprinzip vor. Fakt ist, dass die Auswahl nach Kriterien wie Alter oder Behinderung diskriminierend ist und so nicht greifen darf. 

Du hast gerade auch Sorgen um die Risikopatienten, die nur ambulant betreut werdenalso nicht in einem Pflegeheim bzw. Einrichtungen sind. Warum werden sie aus deiner Sicht vergessen? Die Sorgen kann ich völlig nachvollziehen.

Im Laufe der Pandemie gab es dafür einige Beispiele. Das aktuellste dreht sich um die Impfsituation:

Die Impfverordnung teilt uns alle in Gruppen ein, deren Reihenfolge festlegt, wer sich wann impfen lassen kann. Menschen mit einem hohen Risiko für Ansteckung und einen schweren Verlauf sollten dabei ganz oben stehen. Bezogen auf das Kriterium Alter ist das auch zutreffend. Nur leider erhöhen auch Vorerkrankungen und Behinderungen das Risiko, weswegen Menschen mit diesen Merkmalen ebenfalls ganz oben dabei sein sollten. Für Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben, trifft das auch zu, allerdings nicht für ambulant betreute Menschen. Letztere, zu denen ich mich auch zählen darf, wurden wieder einmal schlichtweg vergessen. Warum das so ist, würde ich auch gern wissen. 

Lorenzo

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