Kommentar zum drohenden Sexkaufverbot

Gestern erzählte mir eine gute Bekannte, die Sexarbeiterin ist, dass CDU und SPD laut Wahlprogramm offenbar vorhaben, ein Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell auch hier in Deutschland endgültig einzuführen. Das sogenannte Nordische Modell wurde 1999 in Schweden und dann zehn Jahre später auch in Norwegen eingeführt. Daher Nordisches Modell. Inzwischen haben es auch Israel, Frankreich und andere Länder übernommen.

Das Modell besagt:

  • Freier sollen für den Kauf sexueller Dienstleistungen bestraft werden.
  • Nicht aber die Prostituierten.
  • Bordelle und Laufhäuser müssten dann schließen.
  • Auch die Vermietung von Wohnungen an Prostituierte soll verboten werden.

Und das würde mich betreffen. Wenn das wirklich so eingeführt wird, mache ich mich strafbar. Das fände ich gar nicht gut und macht mir große Sorgen, weil ich mich regelmäßig mit Sexarbeiter*innen treffe. Ja, das tue ich. Denn manche Menschen können ja nur mit Hilfe von Sexarbeiter*innen ihre Sexualität ausleben und körperliche Nähe erleben. Zum Beispiel Menschen mit Behinderung. Da ich Single bin, kann ich Sex, körperliche Nähe und ein bisschen „Liebe“ eben nicht anders bekommen. Es ist halt sehr schwierig für mich, eine Partner*in zu finden.

Aber jeder hat doch das Recht, seine Sexualität auszuleben, oder? Auch wenn manche das nicht verstehen wollen. Klar, die Sexarbeiter*innen müssen gut behandelt und geschützt werden. Aber ein Verbot wäre der falsche Weg. Das hätte fatale Folgen. Dann wird die Sexarbeit trotzdem weitergehen. Dann eben illegal. Und jeder weiß, was das bedeutet. Kein besonderer Schutz mehr für die Sexarbeiter*innen.

Außerdem: Wie sollen wir Menschen mit Behinderung dann überhaupt ein bisschen körperliche Nähe haben, wenn wir uns damit strafbar machen? Darüber denken meine politischen Kolleg*innen von CDU und SPD nicht nach, oder es ist ihnen wohl auch egal. Wir haben eben keine Lobby. Und einige Kolleg*innen haben in den letzten Jahren schon mehrfach versucht, das bereute Verbot durchzusetzen, aber zum Glück keine Mehrheit dafür bekommen.

Das letzte Mal war ziemlich genau vor einem Jahr. Das vorletzte Mal war, glaube ich, im Sommer 2020. Ich habe auch schon einen Blogeintrag dazu geschrieben. Aber nach der Bundestagswahl im Februar haben meine Kolleg*innen vielleicht eine Mehrheit dafür. Dann weiß ich nicht, was ich machen soll, aber vielleicht kommt das Verbot ja doch nicht. Ansonsten können wir immer noch kämpfen, auch wenn es wahrscheinlich aussichtslos ist. Ein solches Verbot hätte große Folgen für uns Menschen mit Behinderung und auch für andere. Die Welt, in der wir heute leben, ist schon beängstigend. Fast alles wird wieder in Frage gestellt.

Lorenzo

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6 Kommentare

  1. Das ist halt wieder Schwarz-Weiß-Denken – entweder etwas ist erlaubt oder eben total verboten. Klar, man will das Ausbeuten der Frauen unterbinden und das ist auch richtig so. Denn leider gibt es viel Gewalt in dem Metier. Dennoch denke ich, dass es Lösungen gefunden werden und Grautöne zwischen Schwarz und Weiß ebenfalls Beachtung finden könnten. Die Sexarbeit muss aus der dunklen Ecke raus und Frauen dürfen nicht wie Ware behandelt werden. Es, braucht Regelungen, sodass Zuhälter sich nicht an den Frauen dumm und dämlich verdienen. Ich denke, die Sexarbeiterinnen, die du in Anspruch nimmst, sind in einem ganz anderen System organisiert, das vielleicht auch als Vorbild dienen könnte.

    1. Hallo Marina,

      vielen Dank für deinen Kommentar. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

      Klar gibt es auch Sexarbeiter*innen, die es nicht gerne bzw. freiwillig machen, aber das ist eben nicht die Mehrheit. Ich kenne schon einige Sexarbeiter*innen und die machen es wirklich gerne. Natürlich müssen sie geschützt werden und faire Bedingungen haben. Aber wenn sie es machen wollen, sollten sie es auch dürfen. Deswegen ist ein generelles Verbot absolut falsch.

      Viele Grüße, Lorenzo

  2. Erstmal ein herzliches Hallo Lorenzo! von mir,
    schön, dass Du dich „outest“.

    Täte das nur einer von zehn Kunden der Sexarbeit, wäre der Spuk schnell verflogen. Die Kampagne funktioniert über das Stigma allein so gut. Ich kam grade per google auf deinen Blog, „was gibts neues?“ zum Thema. Erstmal Entwarnung:
    Ich glaube so weit wie von deiner guten Bekannten befürchtet ist es noch nicht, zumindest wusste die Anführerin des politischen Arms der Anti-Sexarbeitsfront/Germany vor ein paar Tagen noch nix von wegen Wahlprogramm der SPD zu berichten, was sie bestimmt nicht unterlassen hätte, wenn. Es gibt in der Partei welche, die hätten gerne, soweit stimmt das. Die rechtliche Umsetzung wäre ein ganz anderes Feld. Kein Land, das dieses „Modell“ übernommen hat, hat jemals zuvor die Prostitution wirklich erlaubt. Frankreich z.B. wechselte nahtlos von „Kriminalität“, wo schon das „Hübscher, noch was vor!?“ auf dem Gehweg ein fettes Bußgeld einbrachte, zu „oh, die armen Opfer!“. In Deutschland hingegen ist der gewerbsmäßige Beischlaf an sich schon lange entkriminalisiert, und seit 2002 eine anerkannte berufliche Tätigkeit.

    Ich guck mir das Treiben der „Front“ schon länger an, alles dokumentiert. Lesetipp zum Einstieg:
    „Neue Aufstellung bei den AbolitionistInnen“ auf sexworker.at (grassroots forum)

    Grüße aus Berlin, Boris

    1. Hallo Boris,

      vielen Dank für deinen Kommentar. Das freut mich wirklich sehr.

      Natürlich „oute“ ich mich. Ich habe ja nichts zu verbergen. Außerdem ist Sexualität bzw. Sexarbeit nichts Schlimmes, auch wenn das manche anders sehen. Und die Mehrheit der Sexarbeiter*innen macht es ja gerne und freiwillig. Es gibt natürlich Zwangsprostitution, die geht gar nicht und wird auch härter bestraft, aber wie gesagt, die Mehrheit macht es freiwillig. Dann sollen sie es auch weiterhin machen dürfen.

      Aber bei der SPD wäre ich mir da nicht so sicher. Ein Bekannter von mir, der in der SPD ist, wurde von seinen Leuten schief angeguckt, als er gegen den Antrag gestimmt hat, aber eine rechtliche Umsetzung ist natürlich eine andere Sache. Zumindest hoffe ich das. Denn ein Verbot wäre quasi der Todesstoß für meine Sexualität.

      Deinen Lesetipp werde ich die Tage mal lesen. Vielen Dank!

      Lorenzo

  3. @Lorenzo: „wurde von seinen Leuten schief angeguckt, . . .“

    Ja, genau so funktioniert das mit dem Stigma – von dem die Protagonistinnen auch offen sagen, es von der „Hure“ auf den „Freier“ übertragen zu wollen. Was ihm als tätigem Frauenfeind ja auch zukommt! – oder so. Dieser imaginierte Durchschnittskunde („Gute“ gibt es höchstens relativ zu den richtig üblen), der zu den Behauptungen massenhafter impliziter Vergewaltigungen passt – ich frage mich immer, wie man DAS glauben kann und sich noch unter Leute traut!

    Noch aktueller: Rolf Mützenich / SPD • 28.11.2024
    „in der SPD-Bundestagsfraktion lehnen wir das Sexkaufverbot, das Teil des sogenannten „Nordischen Modell“ ist, derzeit ab.“
    BaWü-Landesverband ist anders drauf, und ähnliche Bestrebungen gibt es innerhalb jeder der relevanten Parteien außer der AfD, soweit ich weiß (ja, auch in der Linken und bei den Grünen).

    1. Ja, Boris, das stimmt!

      Mein Bekannter ist auch im Landesverband BaWü der SPD, glaube ich. Aber hoffen wir mal, dass die SPD-Bundestagsfraktion nach wie vor gegen das Sexkaufverbot ist. Und dass es bei den Grünen unterschiedliche Meinungen dazu gibt, ist normal, aber das ist nicht die Mehrheit. Außerdem kann man sich immer noch dagegen wehren.

      Lorenzo

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